Überwachung von Grundschülern - Datenschützer protestieren

von Sandra Zecchino


Daten sammeln statt Sicherheit. Symbolbild: pixabay
Daten sammeln statt Sicherheit. Symbolbild: pixabay | Foto: Pixabay

Wolfsburg. Eine App soll den Standort von Kindern kontinuierlich erfassen und an Autofahrer in der Nähe weitergeben, damit diese ihre Fahrweise entsprechend anpassen können. Das ist der Grundgedanke des Projektes "Schutzranzen", das im Februar an zwei Wolfsburger Grundschulen getestet werden soll. Nun laufen Datenschützer dagegen Sturm.


"Plötzlich rennt ein Kind zwischen zwei parkenden Fahrzeugen auf die Straße, direkt vor ein herannahendes Auto. Dieses Szenario ist der Albtraum eines jeden Autofahrers. Besonders kleine Kinder unterschätzen häufig die Gefahren im Straßenverkehr und werden so Opfer von Verkehrsunfällen. Die Fahrzeug-App „Schutzranzen" soll künftig derartige Unfälle mit Kindern vermeiden, indem sie den Fahrer rechtzeitig vor Gefahrensituationen optisch und/oder akustisch warnt. Dazu haben die beiden Projektpartner, die Volkswagen AG und die Coodriver GmbH, ein cloudbasierter Application Service Provider für Verkehrssicherheit, eine Zusammenarbeit beschlossen." So umschrieb Volkswagen in einer im April 2016 erschienen Pressemitteilung das Ziel des Projektes "Schutzranzen".

Daten sammeln statt Sicherheit


Doch Datenschützer sehen einen ganz anderen Hintergedanken bei Projekten wie diesen. „Die großen gesellschaftlichen Probleme an Projekten wie 'Schutzranzen' sind die Geschäftsmodelle der Unternehmen und ihre Gier nach Daten“, kritisiert Friedemann Ebelt von Digitalcourage. "Akute Probleme, wie Gefahren im Straßenverkehr, werden nicht grundsätzlich gelöst, sondern nur ausgenutzt, um Daten zu sammeln, auszuwerten und zu Geld zu machen.“ Zusätzlich sei eines des Hauptrisiken im Straßenverkehr, dass Autofahrer durch Push-up Meldungen abgelenkt seien, so Ebelt weiter. "Die Ängste der Eltern um ihre Kinder werde ausgenutzt, konkretisiert Kerstin Demuth, ebenfalls von Digitalcourage, im Gespräch mit regionalHeute.de.

Die Website von „Schutzranzen“ werbe damit, dass ohne Zustimmung keine Daten an Dritte weitergegeben werden. Dennoch habe Digitalcourage nach eigenen Angaben nachgewiesen, dass Daten aus der Kinder-App an 1&1, Akamai, Amazon, Google sowie Microsoft und aus der Autofahrer-App sogar an Facebook übertragen werden würden. Darüber seien jedoch keine Hinweise in den neuen Datenschutzbestimmungen zu finden.

Der Verein, der sich seit 1987 für Grundrechte und Datenschutz einsetzt, fordert seit dem gestrigen Montag mit einem offenen Brief - unter anderem an den Vorstand von Volkswagen - die sofortige Einstellung des Projektes. In den letzten 24 Stunden hätten bereits 200 Personen den offenen Brief mit unterzeichnet, berichtet Demuth.

Kerstin Demuth:

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Niedersächsische Datenschutzbeauftragte kritisch gegenüber "Schutzranzen"


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Barbara Thiel. Foto: Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen



Auch Barbara Thiel, Niedersächsische Landesbeauftragte für Datenschutz, erklärte auf Anfrage von regionalHeute.de, dass die Aufsichtsbehörde einen hinreichenden Anlass sehe, sich intensiv mit dem Projekt "Schutzranzen" und den dazugehörigen Systemen auseinanderzusetzen.

„Durch solche Dienste werden bereits Kinder frühzeitig damit konfrontiert, jederzeit überwacht und getrackt zu werden. Auch Kinder müssen das Recht haben, sich abhängig von ihrem Alter unbeobachtet fortbewegen zu können. Wenn Eltern jederzeit per Knopfdruck die Position ihrer Kinder erfahren können, stellt das eine Totalüberwachung dar. Zudem könnte sich die Verkehrssicherheit insgesamt verschlechtern. Zum einen, wenn Autofahrer „blind“ auf die App vertrauen und Kinder ohne Schutzranzen-App daher einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Zum anderen weil die Kinder blind darauf vertrauen, dass sie von den Autofahrern wahrgenommen werden und weder Gefühl noch eine Selbsteinschätzung für die Risiken des Verkehrs entwickeln.

Aus meiner Sicht bestehen darüber hinaus derzeit erhebliche Fragen bei der Datenschutzkonformität der Schutzranzen-App. Die Aussage, dass die Positionsdaten der Kinder nur anonym in die Cloud übermittelt werden, ist zumindest zweifelhaft. Bei der Nutzung der App wird immer auch die IP-Adresse übermittelt, so dass von einer Personenbeziehbarkeit auszugehen ist. Zudem erfordert die sog. „Elternfunktion“ der App eine eindeutige Zuordnung der Positionsdaten zu einem Kind. Eine datenschutzkonforme Anonymisierung der Daten ist mit einem sehr hohen Aufwand verbunden."

Überwachung als Gefahr für die Entwicklung von Kindern


Wenn das Kind ständig weiß, dass die Eltern immer wüssten, wo sich das Kind aufhält, sei eher schädlich für die Entwicklung eines Kindes, zeigt Demuth ein weiteres Problem der Überwachung auf. Menschen sollten sich dahin entwickeln können, dass sie verantwortungsvoll mit sich selbst umgehen.

In die gleiche Richtung argumentierte der Verband für Bildung und Erziehung bereits 2017. In einer damalig veröffentlichten Pressemitteilung mahnte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Udo Beckmann, dass die Überwachung von Kindern über GPS-Sendern aus pädagogischer Sicht mehr als fragwürdig sei. Aufwachsen hieße auch, an Aufgaben zu wachsen, wie den Schulweg selbstständig zu bewältigen oder sich innerhalb der Stadt alleine zu bewegen. "Wissen die Kinder, dass sie ständig überwacht werden, kann dies zu unangenehmen Folgen führen. Sie können sich gehetzt von ihren Eltern fühlen und unter Stress gesetzt. Nimmt das Kind nicht den geraden Weg nach Hause, muss es möglicherweise Konsequenzen befürchten. Und das alles nur, damit sich die Eltern in trügerischer Sicherheit wiegen können", so Beckmann damals.

Neutrale Information der Eltern über das Projekt verhindert


Ein weiterer Kritikpunkt von Digitalcourage sei es, dass die Eltern nicht neutral informiert worden seien. Lediglich die beteiligten Informationen seien zu Wort gekommen. So habe Demuth versucht, bei der Informationsveranstaltung an der Grundschule Wolfsburg-Alt die Eltern über die Nachteile des Projektes zu informieren. Dieses sei jedoch verhindert worden.

An der Grundschule Wolfsburg-Alt sowie an der Grundschule Wendschott soll im Februar die Testphase starte. Die Schulleitung der Grundschule Wolfsburg-Alt war auf Anfrage von regionalHeute.de nicht bereit, sich zum Projekt "Schutzranzen" zu äußern. Auch Volkswagen hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert.

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https://regionalwolfsburg.de/stadt-empfiehlt-start-von-schutzranzen-auszusetzen/


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