KolumneHeute: Der Tag der Entscheidung

von Sina Rühland




Griechenland gilt als faktisch zahlungsunfähig. Der Ausgang des Referendums soll an diesem Sonntag darüber entscheiden, wie das Land künftig zu den Spardiktaten steht. Doch der Volksentscheid ist mehr als das. Er kommt einer Abstimmung über Griechenlands Zukunft in der EU und der Währungsunion gleich. Der wählenden Bevölkerung bleibt nur ein Kreuz – ja oder nein.

Ich hatte mir in dieser Woche vorgenommen, unsere Kolumne der Krise in Griechenland zu widmen. Doch bereits nach dem zehnten Artikel musste ich feststellen, dass die Komplexität dieses Notstands bei weitem meine wirtschaftsjournalistischen Kompetenzen überschritten hatte. Im Laufe meiner Recherchen schwankte ich je nach Kommentar und aufgeführten Fakten immer wieder in meiner Haltung. Nach einiger Zeit fand ich mich auf der Suche nach einer greifbaren Ursache der Krise bei Platons Staatstheorie wieder. Irgendwo war ich falsch abgebogen. Ich fragte mich, ob es überhaupt diesen einen Schuldigen gibt, dem man das Elend der griechischen Bevölkerung vorwerfen könnte. Die Troika, das Beamtensystem, Ratingagenturen, Korruption, die Währungsunion, Angela Merkel?

Unsere Medienlandschaft gibt täglich unzählige Publikationen zu der Griechenland-Krise heraus. Brennpunkte, Verlautbarungsschriften, Reportagen, Porträts über Premier und Finanzminister, Pro/Contra-Sammlungen zum Thema Hilfspakete und Schuldenschnitt – massenhafte Ansammlungen von Kommentaren und Kolumnen. Wie oft hat man in den vergangenen Monaten gehört „Ich kann es nicht mehr hören“? Dabei ist der informierte Mensch die unabdingbare Voraussetzung für Solidaritätsbekundungen. Zivilgesellschaftliche Solidarität, die die griechische Bevölkerung eben so dringend benötigt wie weitere milliardenschwere Hilfspakete, Schuldenreduzierung, Strukturreformen, steuerzahlende Oligarchen – und Zeit.

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Die Autorin: RegionalHeute.de-Redakteurin Sina Rühland. Foto:



Votiert die griechische Bevölkerung nun an diesem Sonntag gegen die Bedingungen der Gläubiger, bedeutet das, dass die Regierung in Athen kein weiteres Geld aus den EU-Hilfsprogrammen und dem Währungsfonds erhält. Laut Experten dürfte dem griechischen Staat dann binnen einer Woche das Geld ausgehen. Banken könnten sich dann nicht mehr refinanzieren, weil ihnen niemand mehr Geld leiht. Einige Banken sind bereits geschlossen. Und wenn die übrigen Banken kein Geld mehr haben, dann erliegt der Zahlungsverkehr und die Bevölkerung steht vor leeren Geldautomaten. Aus diesem Grund haben viele Griechen in den vergangenen Tagen ihren Bargeldvorrat aufgestockt und ihre Konten geleert. Die ohnehin schon große Not würde noch größer. Kein Geld bedeutet kein Gehalt bedeutet keine Versorgungsmöglichkeiten. Sprechen sich die Griechen für die Auflagen aus, würde dies weitere Kürzungen im Sozialsystem und Entlassungen von Angestellten bedeuten. Die Regierung müsste auf die Zusage erneuter Hilfspakete hoffen und umgehend Schulden tilgen. Premier Alexis Tsipras bittet derweil darum, die Staatsschulden um 30 Prozent zu reduzieren und um zwanzig Jahre Zeit, um den Rest zu begleichen.

Wie Umfragen zeigen, sind die Lager gespalten. Die Zeitung Ethnos berichtete, dass 44,8 Prozent der Griechen mit Ja und 43,4 Prozent mit Nein abstimmen. Da sich die EU-Kommission im Schuldenstreit mit der griechischen Regierung nicht einigen konnte, soll nun die Bevölkerung entscheiden – eine Entscheidung, die ich nicht treffen möchte.


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