Kluschke wieder: Wolfenbüttel schreibt sich

von Karl-Heinz Kluschke


| Foto: Karl-Heinz Kluschke



Der erste Bürger unserer Stadt, Thomas Pink, hat als Privatperson einen Brief an die Landrätin geschickt. Einen Brief. Keine E-Mail. Dies kommt bei seinen Mitbürgern sehr gut an und macht Schule. Mal wieder was schreiben - so richtig: Auf echtem Papier. Wie der Bürgermeister. Die Wolfenbütteler werden kreativ: Eingaben, Beschwerden, Fragen, Forderungen, anonyme Beschimpfungen, die übrigens aus ausgerissenen, aufgeklebten Zeitungsbuchstaben. Das geht nur in Briefform, wenn der Bildschirm nicht mit Pritt-Stiften verschmiert werden soll. Immer mehr Lessingstädter erinnern sich an die gute alte Zeit, ohne Smartphones, Laptops und PCs. Wie früher. Wie im Osten. Und im Westen. Vor der Wolfenbütteler Hauptpost bildeten sich schon kurz nach Bekanntwerden dieses besonderen Umstandes lange Schlangen von Postwertzeichen-kaufwilligen Menschen, die damit auch gerade dieser Tage, an das lange Anstehen vor Handelsorganisationen (HO) in der DDR wegen (zwischenzeitlich verkauften) Südfrüchten erinnern wollten. Bis vor 25 Jahren war das noch völlig normal, so wie Briefe schreiben auch. Bis zur Bahnhofsbrücke, wo es kürzlich noch aussah wie bei Abrissarbeiten an der Berliner Mauer, hielten die Wolfenbütteler Briefe in die Höhe, um Brief- und Friedenstauben anzulocken. Aber es kam nur die Organisatorin der Wolfenbütteler Weihnachtsparade, die dachte, die lange Reihe vor der Post, sei bereits das Vor-Üben ihres Vorhabens. Die Landrätin soll ganz hinten in der Schlange gestanden haben, um das Antwortschreiben für Pink frankieren zu lassen, kam aber bis Samstagmittag nicht mehr an die Reihe. Nun soll sich die Poststelle der Landkreis-Verwaltung am Montag mit ihrem Brief befassen und einen Transport ins Rathaus organisieren. Ins Rathaus? Der Bürgermeister hat als Privatperson geschrieben und nun einen Anspruch auf postalische Zustellung an seine Privatadresse. Nun wird wohl auch der Briefumschlag neu beschriftet werden müssen - das wäre mit einer weiter leitbaren E-Mail-Adresse nicht passiert und hätte öffentliche Mittel gespart. Ein elektronischer Brief an thopi@gmx oder thom-thom-wf@gmail wäre privat oder dienstlich lesbar, wenn die inneren und die technischen Einstellungen stimmen. Aber es musste bei Pink ja ein Brief sein. Ein Brief! Und so wird mit einem Brief vergolten. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Briefmarke um Briefmarke. Motto: Wer schreibt bleibt. Und da der alte neue Bürgermeister erst heute vor einer Woche offiziell erneut sein Amt angetreten hat, bleibt er wohl auch noch - schreibend.

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Dieser Satire-Beitrag kommt aus der Feder des WolfenbüttelHeute.de-Postbeauftragten Karl-Heinz Kluschke und erreichte uns in Briefform. Die Redaktion tippte ihn zwar ab (der Scanner ist kaputt), distanziert sich aber vom Inhalt und seiner Person, weil er auch immer einen tintenblauen Zeigefinger an der rechten Hand hat.


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